«Die Digitalisierung ermöglicht enorme Fortschritte, aber wir dürfen nicht alles auf dieses eine Pferd setzen.»

Syngenta
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Anlässlich eines Panelgesprächs auf dem bestens bekannten «Green Sofa» haben wir zusammen mit Fricktal Regio in unser Forschungszentrum in Stein (AG) geladen. Moderiert von Reto Brennwald diskutierten drei hochkarätige Expert:innen über die Digitalisierung in der Landwirtschaft. Kann sie zu einer ressourceneffizienten Nahrungsmittelproduktion in Europa aber auch im globalen Süden beitragen?

Moderator Reto Brennwald eröffnet das Podium mit der Frage: «Was heisst Digitalisierung in der Landwirtschaft?» Prof. Dr. Bernard Lehmann, Präsident des wissenschaftlichen Rates des UN-Komitees für Ernährungssicherheit sagt: «Als die Menschen sesshaft wurden und zum Ackerbau übergingen, haben sie angefangen, Pflanzen miteinander zu vergleichen. Sie beobachteten, welche besser wachsen als andere. Da wurden zum ersten Mal Daten in der Landwirtschaft gesammelt». Heute bedeutet die Digitalisierung in der Landwirtschaft vor allem auch die Generierung neuen Wissens aus diesen Daten: «Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) können aus unendlich grossen Datensätzen Muster erkannt werden, die den Landwirt:innen eine bessere Produktion ermöglichen», sagt Olaf Deininger, Chefredakteur Agrar-Medien bei Deutscher Fachverlag GmbH. So werden heute beispielsweise weltweit bereits rund 61 Millionen Hektaren Ackerfläche per Satellit überwacht und Parzellen mit ähnlichen Kulturen und klimatischen Bedingungen weltweit verglichen.  Dieser Benchmark ermöglicht den Landwirt:innen wiederum, Optimierungspotenziale zu erschliessen.  

 

Geringerer Ressourcenverbrauch bereits seit den 90ern 

Syngenta arbeitet intensiv an der Erforschung digitaler Lösungen für Landwirt:innen. «Daten ermöglichen uns die Bedürfnisse der Landwirte besser zu bedienen», sagt Dr. Elisabeth Fischer, Head Sustainability Strategy and Transformation bei Syngenta. Wie wichtig der technologische Fortschritt gerade auch für die Umwelt ist, lässt sich anhand der Produktionszahlen der vergangenen 30 Jahre ablesen: «Seit den 90ern verringert sich global der Ressourcenverbrauch in der Landwirtschaft, das heisst, der Verbrauch von Fläche, Arbeitskraft und Input wie Pflanzenschutzmittel oder Dünger pro Tonne Ertrag sinkt» sagt Fischer. Im weniger entwickelten Volkswirtschaften ist ein solcher Trend jedoch noch nicht zu beobachten. Angesichts der stark wachsenden Bevölkerung müssen die massive Ertragslücken geschlossen werden. Und auch dort wird die Digitalisierung zu einem geringeren Ressourcenverbrauch und mehr Wohlstand beitragen. Die Produktivitätssteigerungen dürfen aber nicht zu Lasten der Natur und der Menschen gehen. «Es müssen digitale Ökosysteme mit Dienstleistungen rund um den Agrarsektor entstehen. Dazu gehört beispielweise auch eine einfache und unkomplizierte Vergabe von Krediten für Kleinbauern.» Und es braucht neue Job-Opportunitäten für die Nachkommen der Bauernfamilien. Sie sollen als Perspektive nicht anstrengende Feldarbeit haben, sondern ein Studium machen können, um in einem stärker digitalisierten Agrar-System als Dienstleister und Produzenten tätig zu sein.  

«Digitalisierung ist nicht nur teure Hightech für Grossbetriebe, sondern vielfach bieten sich Möglichkeiten, die günstiger sind und auch sehr kleinräumig funktionieren.» 
Olaf Deininger 

 

Vor 17 Jahren in Kenya mit dem Handy bezahlt 

Doch im Westen entwickelte Methoden lassen sich oft nicht einfach 1:1 übertragen. Landwirtschaft und die Services darum herum müssen immer auch lokal funktionieren. Dass die Digitalisierung der Landwirtschaft dennoch im globalen Süden zu Produktionssprüngen beitragen kann, glaubt auch Olaf Deininger: «Digitalisierung ist nicht nur teure Hightech, sondern vielfach bieten sich Möglichkeiten, die günstiger sind und auch sehr kleinräumig funktionieren.» Auch Bernard Lehmann erinnert daran, dass sich bestimmte digitale Technologien in Entwicklungsländern manchmal sogar schneller durchsetzen: «Bereits vor 17 Jahren konnte man in Kenya mit dem Handy bezahlen. Eine zu Twint vergleichbare Funktion gab es schon damals.» Lehmann erinnert jedoch gleichzeitig daran, dass digitale Technologien allein das Problem von Hunger und Armut nicht lösen können: «Digitale Lösungen müssen durch begleitende Massnahmen, wie etwa die Bildung junger Menschen in entsprechenden Technologien, ergänzt werden. Nachhaltigkeit hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische und soziale Dimension.» 

 

Politik hinkt der Technologie hinterher 

Gemäss Olaf Deininger ermöglicht die Digitalisierung gerade völlig neue Produktivitätshebel. Ein Stichwort sind auch effizientere Wertschöpfungsketten. Er schildert, wie eine Feldspritze des Startups ecorobotix kann Unkraut von der gewünschten Feldfrucht unterscheiden und appliziert punktgenau nur dort Herbizide, wo sie nötig sind. Das Beispiel zeige: «Weniger Ressourceneinsatz bei gleichem Output funktioniert!». Aufholbedarf sehen die Panelteilnehmer bei der Politik. Ein Weinbauer aus dem Publikum erzählt von den vielen behördlichen Hürden, die er überwinden musste, bis er zum ersten Mal mit seiner Drohne über den Rebberg fliegen konnte. Dem stimmt Olaf Deininger zu: «Die Politik hat ein völlig falsches Bild von Technologie. Sie ist mindestens 10 Jahre in Verzug.» Und auch Bernard Lehmann übt leise Kritik: «Bei den Behörden herrscht strukturbedingt ein Denken in Silos», sagt er. Dabei müsste man in der Verwaltung nicht in abgetrennten Departementen und Bundesämtern denken. «Wir müssen das Food System als Ganzes betrachten. Und zum Ernährungssystem gehören eben auch Regeln zu Drohnen oder autonom fahrenden Fahrzeugen. Die Struktur der Verwaltung verhindert zu oft ein solch systemisches Denken, das aber dringend nötig wäre.» 
 

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