«Wir werden unsere Produktion in der Schweiz sicher nicht verlagern»

Syngenta
Michel Demaré

Interview aus der ©SonntagsZeitung vom 30.04.2017

«Wir werden unsere Produktion in der Schweiz sicher nicht verlagern»

Michel Demaré, Präsident des Agrochemiekonzerns Syngenta, über das Interesse Chemchinas am Standort Schweiz, effizientere Nahrungsmittelproduktion in China und die Schweizer Sperrminorität im Verwaltungsrat
Jürg Meier

Zürich/Basel 43 Milliarden Dollar bezahlt die chinesische Chemchina für den Schweizer Konzern Syngenta – das ist die grösste Übernahme, die ein chinesisches Unternehmen jemals getätigt hat. Syngenta-Präsident Michel Demaré hat die monatelangen Verhandlungen geführt.

Die Übernahme von Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern Chemchina soll Mitte Mai abgeschlossen sein. Trotzdem gibt es im Markt immer wieder Gerüchte, dass der Deal noch scheitert. Warum? Unser aktueller Börsenkurs ist sehr nahe am Angebot von Chemchina. Das zeigt, dass der Markt keine Zweifel hat. In gewissen Kreisen herrschen offenbar Befürchtungen, weil die indische Wettbewerbsbehörde der Übernahme formell noch nicht zugestimmt hat.

Zu Recht? Nein. Gemäss indischem Recht hätte sich die Behörde bis am 21. März äussern müssen. Diese Frist hat sie ungenutzt verstreichen lassen. Darum gehen wir davon aus, dass wir die Zustimmung der Behörde haben. Wir haben alle in Indien geltenden Gesetze eingehalten und suchen weiterhin eine einvernehmliche Lösung. Aber die Übernahme ist nicht mehr zu stoppen. Unser Vorgehen ist wasserdicht.

Sika soll französische Besitzer bekommen, Kuoni Schweiz wurde nach Deutschland verkauft, ein chinesisches Unternehmen schluckt Syngenta. Was machen die Manager von Schweizer Firmen falsch? Die Schweiz kann sehr stolz darauf sein, als kleines Land Sitz von so vielen international bedeutenden Firmen zu sein. Die fünf grössten Schweizer Firmen sind Nestlé, Novartis, Roche, ABB und Syngenta. Sie haben zusammen eine Marktkapitalisierung von über 750 Milliarden Schweizer Franken und sind schon heute primär im Besitz von institutionellen Investoren aus dem Ausland. Die wichtige Frage ist nicht, wem diese Firmen gehören. Sondern ob sie in der Schweiz bleiben und hier investieren.

Syngenta werde in der Schweiz bleiben, betonen Sie immer. Warum? Weil wir weiterhin von all den Vorteilen profitieren wollen, die der Standort Schweiz bietet. Wir haben hier stabile Verhältnisse, gut ausgebildete Arbeitskräfte, ein vorteilhaftes Steuer- und Urheberrecht sowie viel Innovation und unternehmerisches Denken. Darum waren wir so strikt gegen einen Zusammenschluss mit unserem Konkurrenten Monsanto. Ein solcher hätte das Ende von Syngenta bedeutet. Monsanto sprach von zwei Milliarden Franken möglicher Synergien. Das hätte den Abbau von weltweit 15 000 Jobs bedeutet. Jetzt geht nicht ein Job verloren.

Ihre grösste Fabrik weltweit steht in Monthey VS. Warum soll eine Firma in chinesischem Besitz dort produzieren? Natürlich ist Monthey nicht der günstigste Ort, um Pflanzenschutzmittel herzustellen. Aber bei komplexen chemischen Produktionsprozessen ist die Qualität entscheidend. Wir haben in der Schweiz zuverlässige Spezialisten mit hohem Arbeitsethos. Darum werden wir unsere Produktion in der Schweiz sicher nicht verlagern. Die Chinesen halten sowohl unsere Forschungseinrichtungen wie auch unsere Produktionsstätten in der Schweiz für erstklassig.

Die Garantien der Chinesen gelten aber nur für fünf Jahre. Danach kann sich alles ändern. Das glaube ich nicht. Chemchina hat Syngenta aus langfristigen, strategischen Gründen übernommen. China muss heute viel Nahrung importieren, weil die Landwirtschaft sehr ineffizient ist. Diese Übernahme dient darum auch einer guten Sache: der Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung Chinas. China kauft unser Know-how, damit wir Lösungen für den chinesischen Markt entwickeln.

Das wäre ein Grund, um die Aktivitäten nach China zu verlagern. Überhaupt nicht. Es würde keinen Sinn machen, die Firma nach China zu verlagern. Nur wenige Forscher würden von Stein AG nach Peking ziehen, sie würden damit ihren Zugang zu Forschungsnetzwerken einschränken. Ich rechne damit, dass wir in Zukunft sogar mehr Forscher beschäftigen werden, weil die Firma wächst. Unser Management bleibt unangetastet, einzig im Verwaltungsrat sind neu vier von acht Mitgliedern Vertreter der chinesischen Besitzer.

Ursprünglich hätten gar sechs chinesische und vier unabhängige Vertreter im Verwaltungsrat sitzen sollen. Warum sind die chinesischen Käufer jetzt zurückgekrebst? Das hat uns auch positiv überrascht. Es ist für mich ein weiteres Zeichen des guten Willens und Vertrauens der Chinesen, dass wir mit einem ausgeglichen besetzten Verwaltungsrat starten.

Die Chinesen können aber jederzeit auf sechs Vertreter im Verwaltungsrat aufstocken, wenn sie wollen. Das stimmt. Die unabhängigen Vertreter könnten aber auch dann viele Entscheidungen blockieren. Etwa wenn geplant wäre, den Hauptsitz zu verlegen, im grossen Stil geistiges Eigentum nach China zu transferieren oder die Forschung zu beschneiden. Solche Änderungen können nur mit Zustimmung von mindestens zwei der unabhängigen Verwaltungsratsmitglieder erfolgen.

Syngenta wird nach dem Kauf von der Schweizer Börse verschwinden, zu einem späteren Zeitpunkt ist aber wieder ein Börsengang geplant. Wo wird dieser stattfinden? Im Übernahmevertrag steht, dass Chemchina die Schweiz als vorrangigen Börsenplatz prüft. Der Börsengang könnte in der Schweiz und in China erfolgen, was wahrscheinlich sinnvoll wäre.

Syngenta beschäftigt rund 3000 Mitarbeiter in der Schweiz. Wie viele werden es in zehn Jahren sein? Ich kann nur sagen: In der Schweiz werden keine Jobs verloren gehen, weil Syngenta einen neuen Besitzer erhält. Wirtschaftsprognosen über zehn Jahre hinaus wären unseriös.

In China gelten andere ethische Geschäftsstandards, die Zahlung von Schwarzgeld ist weit verbreitet. Könnten Ihre neuen Besitzer Sie dazu drängen, öfter ein Auge zuzudrücken, und Ihnen rechtliche Probleme einbrocken? Mir ist nicht bewusst, dass Chemchina jemals irgendwelche Probleme wegen unlauterer Geschäftspraktiken hatte. Ich habe dennoch ausgehandelt, dass Chemchina mit der Übernahme unseren Verhaltenskodex übernimmt.

Was bedeutet der Besitzerwechsel für das bereits heute nicht sehr gute Image von Syngenta? Unsere Industrie wird nicht immer positiv wahrgenommen, das stimmt. Der Besitzerwechsel sollte aber keine negativen Auswirkun-gen haben. Vielen ist nicht bekannt, dass wir heute hauptsächlich angelsächsischen Fonds gehören, deren Denken sehr kurzfristig und stark profitorientiert ist.Wir müssen sicherlich viel besser informieren. Die Welt braucht unsere Lösungen, wenn sie im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren will. Dafür braucht sie laut UNO 70 Prozent mehr Nahrungsmittel.

Syngenta ist auch ein wichtiger Saatgutlieferant für Schweizer Bauern. Werden die Chinesen bestimmen, was wir essen? Natürlich nicht. Jeder Markt ist anders. Das wird so bleiben.

Die Schweiz ist stark auf Biolandbau fokussiert. International spielt dieser aber eine kleine Rolle.​Werden Sie ihre Produktpalette in der Schweiz ausdünnen? Nein. Wir sind für Wahlfreiheit und haben auch biologische Produkte im Angebot. Der biologische Landbau ist aber nicht die beste Antwort auf alle Fragen, weil er Stoffe wie Kupfer und Schwefel verwendet, die im Boden verbleiben. Wir versuchen in unserer Forschung, die Vorteile des biologischen und des konventionellen Anbaus zu verbinden.

Woran forscht Ihr Unternehmen sonst? 2050 wird die Welt 75 Prozent mehr Getreide produzieren müssen als heute. Damit das möglich ist, braucht es neue Anbautechnologien. Schon heute sind das Wasser und der Boden knapp. Wir züchten Pflanzen, die resistenter gegen Trockenheit oder starke Winde sind. Und wir entwickeln Technologien, bei denen Pflanzenschutzmittel in geringeren Mengen und gezielter eingesetzt werden. Schon heute umhüllen wir Samen mit Wirkstoffen, wodurch man die Pflanze nicht mehr spritzen muss.

Gab es Momente, in denen Sie befürchteten, dass der Verkauf nicht zustande kommt? Natürlich. In solchen Verhandlungen gerät man sich dauernd in die Haare. Aber da der Deal für Chinas Industriepolitik zentral ist und weltweit genau verfolgt wird, engagierten sich beide Seiten für eine mustergültige Lösung.